Publikationen - Jahreskarte 2019
Will Brüll,
Titel “Große Harfe”, Edelstahl, vor der Kreis-Musikschule 2003 aufgestellt,
Foto Stefan Kaiser
Jahreskarte 2019 als
WILL BRÜLL
20. November 1922 Viersen - 22. August 2019 Meerbusch-Osterath
Leben im Gesamtkunstwerk“, so lautet der Titel einer Monographie zu Leben und Werk
des Bildhauers Will Brüll. (1)
Er bezieht sich auf sein Schaffen in der Osterather Windmühle, die Brüll mehr
als 60 Jahre bewohnte, seit er sie in den 1950er Jahren restaurieren und umbauen ließ. Hier sind zahlreiche seiner Werke zu finden.
Geboren wurde Will Brüll jedoch am 20. November 1922 in Viersen,
wo sein Vater als Schulleiter tätig war. Hier besuchte er das humanistische Gymnasium, an dem er noch die Abiturprüfung ablegte, bevor 1941-45 der Kriegseinsatz als Flieger folgte.
In Viersen hinterließ Will Brüll eine Vielzahl von plastischen Arbeiten im öffentlichen Raum.
“Flötenspielerin” im Casinogarten, 1953 aufgestellt,
Foto KAV 5-1616
Edelstahlskulptur am Clara-Schumann-Gymnasium,
Dülken, 1965 errichtet, Foto Stefan Kaiser
Gleich nach der Heimkehr nahm er das Studium an der Kunstakademie Düsseldorf auf als Schüler des
Bildhauers Joseph Enseling, der seinerseits stark durch seinen Lehrer Aristide Maillol beeinflusst war.
In der Enseling-Klasse, die er bis 1950 besuchte, begegnete Brüll Joseph Beuys. Beide jungen Künstler
wurden auch intensiv geprägt durch Ewald Mataré, einen der Vollender der klassischen Moderne, der als
Leiter der Bildhauerklasse an die Akademie zurück
berufen wurde.
Brülls frühe Skulpturen aus Holz, Stein und Bronze lassen diese Einflüsse und die traditionsgebundene
Ausbildung spüren und zeigen in ihrer Gegenständlichkeit Züge von Maillols plastischem Konzept mit
klaren, geschlossenen Konturen und klassischer Körperarchitektur. Frühe Bronzen wirken blockhaft, glatte
Volumina, runde, haptische Formen herrschen vor.(2)
Beispiele dieser Frühzeit finden sich auch in Viersen. Für das Wohnhaus eines Fabrikanten, Königsallee Nr. 14, entstand die Figur eines stehenden Jünglings in Bronze, die sich in eine Reihe früher mythologischer Gestalten einfügt. Mittig über dem Eingang platziert ragt die schlanke Idealfigur auf, in leichter Drehung wendet sie sich nach links. Die beinahe lässig zur
Schulter erhobene Rechte hält den Zipfel eines Tuches, welches rückseitig den nackten örper umschwingt
und vorn seine Blöße bedeckt.
Mit zwei Mosaikarbeiten, wie sie etwa auch im Werk Matarés anzutreffen sind, ist Brüll in Viersen ebenfalls vertreten.
Für das Grab der 1948 verstorbenen Schwester schuf der Künstler eine Pietà. Die flache Kreisform umschließt harmonisch die
bildbeherrschende stilisierte Marienfigur, die in ebenfalls gerundeten Formen mit ihrem Gewand den Körper des
toten Sohnes umrahmt und hält. Der Leichnam Christi bildet eine starre Linie in leichter Schräglage.
Fuß, Hände und Seite zeigen die Wundmale, die das Rot des Mariengewandes aufgreifen, welches als Farbe
in der Marienikonographie für den Schmerz und die Liebe steht. Vom Grab der Schwester wurde das runde
Mosaik auf seinem Steinsockel im Oktober 1990 in die Totenhalle des Viersener Löh-Friedhofs versetzt.
Eine vollplastische, 1,50 m hohe Figurengruppe in
Betonguss mit farbigen Mosaiksteinen wurde am 1. Oktober 1953 im Casinogarten aufgestellt.
Der Titel „Flötenspielerin“ bezieht sich auf die stehende weibliche Figur, deren betont aufrechte Haltung durch
das Instrument unterstrichen wird. Ihr zu Füßen kniet ein weiteres Mädchen, welches Blumen in den Hän-
den hält. (3)
Die sparsam strenge Form erfährt durch die farbigen Mosaiksteine Auflockerung, am ursprünglichen
Standort griff die Bepflanzung der benachbarten Beete diese Farbigkeit auf.
Die in den 1990er Jahren schwer beschädigte Skulptur wurde sorgfältig restauriert und befindet sich
heute im Innenraum des Festhallengebäudes, am Treppenabgang zwischen Kreismusikschule und Ernst
Klusen Saal.
Durch das Fenster fällt hier der Blick auf eine der Arbeiten, die für die reifen Schaffensjahre Brülls
charakteristisch sind, die vielfältigen Plastiken in Edelstahl, die seit den 1960er Jahren entstanden.
Die „Große Harfe“ schenkte Brüll seiner Vaterstadt anlässlich seines 80. Geburtstages, sie wurde am
20.7.2003 vor dem Haupteingang der Musikschule aufgestellt. Mit dieser Schenkung wollte Brüll zugleich
an die Musikdirektoren Heinrich Houfer sen. und jun. erinnern, die das Viersener Musikleben in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten. (4)
Während diese jüngste Arbeit Brülls in Viersen in der abstrahierten Form eines Saiteninstrumentes den
gegenständlichen Ausgangspunkt nicht verleugnet,
stellt die „Raumzirkulation“ auf der Grünfläche vor dem Gebäude des heutigen Clara-Schumann-Gymnasiums ein typisches Beispiel für die abstrakten Raumplastiken dar, die Brüll seit 1962 beschäftigten. Die Edelstahl-Skulptur wurde 1965 zur Einweihung der
Schule errichtet.
Konvex und konkav gewölbte Flächen umschwingen scheinbar leicht und spielerisch-rhythmisch in kraftvoller Bewegung drei vertikal zu 5 m Höhe aufragen de Stangen und konzentrieren sich im Zentrum.
Der Weg zu diesen Raumskulpturen, die Brüll selbstals „poetisiert“ bezeichnete, begann mit dem ufbrechen blockhafter Formen, dem
dynamische Ausbrüche flächiger Elemente ins Räumliche folgten.
Große Außenarbeiten in vielen Städten des In- und Auslandes zeugen vom sicheren Umgang mit dem
ihm ureigenen Material in tänzerisch wirkenden Raumbändern, Schlingen, Segeln, Schleifen und Verknotungen.
Keimhafte Formen und Kugelelemente schufen Variationen, so entstand in den 1990er Jahren die Werkgruppe „Keimung – Schutzgebung“. Zu ihr gehört die im Juni 2000 am Dechant-Frenken-Platz inmitten der Seniorenwohnanlage aufgestellte 2,70 m hohe
Freiplastik. Aus einer langen Wasserrinne ragt der Sockel auf, der wiederum zwei blatthafte hoch aufstrebende
Elemente aus gebogenem Stahl trägt. Sie schaffen in ihrer Mitte schützenden Raum für einen verletzlichen
Keimling. (5)
Neben dem plastischen Werk schuf Brüll zahlreiche Graphiken, Aquarelle, Collagen, Öl- und Acrylbilder
sowie Walzbilder. In der Notburga-Kirche in Viersen befindet sich ein Relief-Portrait des ersten Pfarrers
Franz Benedikt Lambertz.
Will Brüll starb am 22. August 2019 in Meerbusch.
Seine sich über viele Jahre erstreckende intensive Arbeit mit Stahl beschrieb er 1995 so: „Ich träume in Stahl von Beschwingtheit und Schwerelosigkeit, von Rhythmik, von Poesie und Musik, aber auch von Energiegeladenheit und Dynamik, und ebenso von Schutzgebung, Keimung und Wachstum. Ich träume in Stahl alle urmenschlichen Empfindungen - auch Trauer
und Schmerz“. (6)
Jutta Pitzen
(1) Eri Krippner: Will Brüll. Leben im Gesamtkunstwerk. Düsseldorf 2014
(2) Vgl. Will Brüll. Skulpturen. Katalog zur Ausstellung in der Städtischen Galerie im Park Viersen 1985 und Margot Klütsch: Nicht nur Edelstahl – zum Lebenswerk von Will Brüll. - In: Will Brüll. Retrospektive. Hrsg. von der Stadt Meerbusch 2009. S. 8-15.
(3) Vgl. Was bietet Viersen? Vol. 6, Nr. 61, Nov. 1953, S. 39
(4) Heinrich Houfer war der Vater von Brülls Ehefrau Anneliese. Deren Elternhaus, die „Villa Heine“, befindet sich auf der Heimbachstraße 12.
(5) Für die Skulptur finden sich die Titel „Große offene Keimung“ oder „Geborgenheit“, eine verwandte Arbeit in Willich-Anrath trägt den Titel „Große Schutzgebung (Keimung)“
(6) Klütsch S. 15