„Zirbel“, so lautet der Titel der Skulptur von Gereon Krebber. Das ist kein zufälliger oder – wie es der Bildhauer häufig tut – „erfundener“ Begriff für eine als ungegenständlich geplante Skulptur. Vielmehr bezieht sich Krebber mit seinem Titel auf die menschliche Zirbeldrüse. Diese sieht aus wie ein Zapfen, ist fünf bis acht Millimeter groß und drei bis fünf Millimeter breit. Die Farbe changiert zwischen grau und rot. Die kleine Drüse liegt im Zentrum des Gehirns und hat eine wichtige Funktion: Sie steuert die innere Uhr und reguliert den Schlaf. In der Antike galt die Zirbeldrüse als der Sitz der Seele, eine Auffassung, die später verworfen, aber im 17. Jahrhundert vom Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes wieder aufgegriffen wurde. Er betrachtete sie nicht nur als Sitz der Seele, sondern als Quelle aller Gedanken.
Eine Quelle von Gedanken und Assoziationen ist auch Gereon Krebbers „Zirbel“: Die Skulptur ist um ein Vielfaches größer als ihr Drüsen-Vorbild. Sie zu umschreiten – dieser Akt ist zum Erleben der Vielansichtigkeit notwendig – erfordert zahlreiche Schritte und für kleinere Betrachter und Betrachterinnen könnte es schwierig sein, über sie hinwegzusehen. Die Form erinnert an ein ausuferndes Ur-Wesen, in Teilen auch an einen unförmig geratenen menschlichen Körper oder, wie der Künstler vorschlägt, an eine „Riesenrosine“.
Autorin: Sigrid Blomen-Radermacher
Ein massiges Volumen breitet sich auf der Wiese zwischen Galerie und Busbahnhof aus – zugleich träge und dynamisch wirkend. Träge, weil es so offenkundig schwer und ungelenk daherkommt, dynamisch, weil das Gebilde stetig seine Richtung wechselt. Es sind Gegensätze wie diese, die Krebbers Kunstobjekte prägen. Die glatte schwarze Oberfläche lädt den Betrachter und die Betrachterin zum Berühren ein. Man möchte mit der Hand den Verformungen und Zerklüftungen folgen, den Ausstülpungen und Einbuchtungen, den Dellen und Graten, bis hin zur jähen Schnittkante, die das eine Ende der Form schroff abschließt: Auch dies ist ein bewusster Kontrast: Die scharfe Kante steht im Widerspruch zu den organisch gerundeten Formen des „Zirbels“.
Wenn die Zirbeldrüse Sitz der rationalen Gedankenwelt ist, so ist Krebbers „Zirbel“ eine Würdigung der Gedankenwelt selbst, die selten linear zu einem Ziel führt, sondern wandert, vor- und zurückspringt, Kurven vollzieht, nach außen drängt und sich nach innen zurückzieht.
Biografie & künstlerischer Werdegang
Gereon Krebber (* 1973 in Oberhausen, lebt in Köln). Er studierte 1994 bis 2000 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Anthony Cragg und Hubert Kiecol sowie 2000 bis 2002 am Royal College of Art in London. Seit 2012 lehrt er als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf.
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